Freitag, 02. Juli 2021, 08:04 Uhr
Thonet
225. Geburtstag eines Visionärs
Möbelerfinder, Geschäftsmann, Pionier des seriellen Designs: Michael
Thonet wäre am heutigen 2. Juli 2021 225 Jahre alt geworden - vor vor 150 Jahren starb er. Michael Thonet markiert wie kein
anderer den Beginn der Geschichte des modernen Möbels. Er war seiner Zeit
voraus und seine Ideen, die er im 19. Jahrhundert entwickelte und in die Tat
umsetzte, sind im 21. Jahrhundert aktueller denn je. Von
Boppard holte ihn Clemens Fürst von Metternich nach Wien, wo er gemeinsam mit
seinen Söhnen das Thonet-Imperium aufbaute. Bis heute ist seine Familie –
aktuell in der 5. und 6. Generation – im Unternehmen aktiv.
Michael
Thonet gelingt es, massives Holz zu biegen. Dies ermöglicht den Entwurf des
damals völlig neuartigen Designtypen, des Stuhls "Nr. 14" (heute "214") und seiner "Geschwister". Die Karriere des Wiener Kaffeehausstuhls, der bis heute als
Ausnahmestuhl gilt, nimmt seinen Lauf. Thonet entwickelt ganze auf
einander aufbauende Stuhlserien. Das Baukastenprinzip bzw. das "Prinzip Thonet"
war geboren.
Im Jahr 1859 kommt Thonets "Nr. 14" als perfekte, preiswerte und schlicht-schöne Lösung in Zeiten der aufsteigenden bürgerlichen Klasse gerade recht. "Nr. 14" aus sechs Einzelteilen (plus zehn Schrauben und zwei Muttern) mit der Thonet-typischen geschwungenen Lehne und der geflochtenen Sitzfläche kostete zur Zeit seiner Entstehung drei Gulden, gerade mal so viel wie 36 Eier oder eine Flasche guter Rotwein. Seine Größe und Beschaffenheit sind gezielt für die Möblierung zuhause und hohe Stückzahlen in der Gastronomie konzipiert. Der "Dreiguldenstuhl" erfüllt alle Komponenten erfolgreichen Designs – Formschönheit, Funktionalität, Materialersparnis, Erschwinglichkeit und Haltbarkeit – und ist bis heute das meistproduzierte Sitzmöbel und eines der erfolgreichsten Industrieprodukte der Welt. Gleichzeitig
gilt der Thonet-Stuhl "Nr. 14" als Wegbereiter für die serielle, arbeitsteilige Herstellung von Möbeln.
Michael Thonet erweist sich auch im industriellen Maßstab als Visionär: In der Hochzeit von Dampfschiff und Eisenbahn lässt er seinen "Nr. 14" in Einzelteilen in großen Seekisten versenden: 36 Stühle auf einem Kubikmeter können ganz ohne umweltschädlichen Leim vor Ort zusammengeschraubt werden, fertig ist der Thonet-"Exportsessel" von Welt. Die logistische Innovation, die weltweite Verkaufsniederlassungen nach sich zieht, beschert Thonet internationalen Erfolg. Eine Weltmarke ist geboren. "Konsumstuhl Nr. 14" erhält als Krönung von Michael Thonets Entwurfsschaffen 1867 als höchste denkbare Auszeichnung die Goldmedaille der Pariser Weltausstellung. Bis 1930 entstehen allein 50 Millionen Original-Thonets "Nr. 14". Dabei ist Michael Thonet, oft unerkannt im schmutzigen Arbeitsanzug auf dem Werksgelände unterwegs, immer der bescheidene Schreiner und geniale Tüftler geblieben.
"Nr. 14" erweist sich über Thonets Tod hinaus als Prototyp nachhaltigen Designs: Nachwachsender Rohstoff, auf minimalen Verbrauch reduziert, leicht reparierbar. Bis heute werden die Stühle über zahllose Generationen und mit Stolz vererbt. Nicht ohne Grund wurde der "214" (ehemals "Nr. 14") mit dem Deutschen Nachhaltigkeitspreis Design ausgezeichnet.
Die Saat von Michael Thonets Pionierleistungen geht nach seinem Tod weiter auf und prägt bis heute die Firmen-DNA. Von den Kreationen der Thonet-Brüder wie "Nr. 18" mit der markanten "Haarnadel" im Rücken, der puristische Stuhl an sich "Nr. 56" von 1885, den von Architekt Le Corbusier umschwärmten und geadelten Lehnstuhl "Nr. 209" von 1900 und Otto Wagners legendärem Wiener "Postsparkassenstuhl" "Nr. 247" von 1906 produziert die Firma Thonet weiter eine Sitz-Ikone nach der anderen.
Die schlichte, ergreifende Beschaffenheit des Thonet-Möbels an sich wird zur Blaupause des modernen Stuhldesigns. Mit dem Aufkommen der Stahlrohrmöbel im Bauhaus-Zeitalter verzeichnet Thonet weiter einen schwunghaften Aufstieg. Mart Stams "S 33", der erste Freischwinger der Möbelgeschichte, Mies van der Rohes "S 533" oder Marcel Breuers Freischwinger-Klassiker "S 32" und "S 64": Kaum eine Persönlichkeit der „neuen Sachlichkeit“, die nicht einen Thonet-Stuhl entworfen hätte. Bis heute, über Designer wie Egon Eiermann und Verner Panton bis Piero Lissoni, Jasper Morrison, Stefan Diez oder Sebastian Herkner, spiegeln Thonet-Produkte die bereits im 19. Jahrhundert geltenden Prinzipien als „ethisches Design“: Entwürfe bauen aufeinander auf, einzelne Elemente lassen sich miteinander kombinieren. Ganz im Sinne der Nachhaltigkeit ist es dem Unternehmen bis heute ein Anliegen, Bestehendes neu zu interpretieren und an aktuelle Anforderungen anzupassen.
So zeichnet die Marke Thonet die Linie ihres Gründers Michael Thonet von den bescheidenen Anfängen in Boppard bis zur Gegenwart und in die Zukunft hinein in seinem Geiste nach: Genies, die
sich nicht verbiegen lassen, um gleichermaßen geradlinig zu entwerfen.